Nach Rücktrittsforderungen von fünf Missbrauchsbetroffenen hat Hannovers Landesbischof Ralf Meister einen Kulturwandel im Umgang mit sexualisierter Gewalt angekündigt. Es werde von ihm keine Predigt mehr geben, keine Fürbitte «ohne den Bezug auf Menschen, die in unserer Kirche sexuelle Gewalt erlitten haben», sagte der 62 Jahre alte Theologe am Freitag in Loccum (Landkreis Nienburg) vor der Landessynode. Am letzten Tag der Tagung des Kirchenparlaments stand das Thema sexualisierte Gewalt im Mittelpunkt. Seit Monaten nehme er auch nach außen in allen Reden und Vorträgen Bezug auf das Unrechtsgeschehen, sagte Meister.
Der Bischof ging in seiner Ansprache nicht auf die kurz vor der Synode öffentlich gewordenen Rücktrittsforderungen ein. Vor Journalisten sagte er später, dass er die Kritik der Betroffenen extrem ernst nehme. Allerdings wolle die Landeskirche Veränderungen zügig umsetzen, dies sei nicht möglich, wenn sie aufgrund von personellem Wechsel in eine «institutionelle Chaoslage» gerate.
Vor dem Start der Landessynode hatten vier Betroffene den Rücktritt von Bischof Meister gefordert, weil er das Thema sexualisierte Gewalt nicht ernst nehme. Es sei Zeit, dass der Landesbischof die Konsequenzen ziehe. «Die einzige verantwortungsvolle Option ist der Rücktritt von Landesbischof Meister», heißt es in dem Brief.
Detlev Zander, Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), unterstützte die Rücktrittsforderung. Er glaube nicht mehr, dass Meister für den notwendigen Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozess stehen könne, sagte Zander dem NDR. Die andere Betroffenen-Sprecherin des Beteiligungsforums, Nancy Janz, schloss sich der Rücktrittsforderung dagegen nicht an.
Wichtiger als personelle Fragen sei ein Kultur- und Strukturwandel, sagte Janz am Freitag in Loccum. Bei der Tagung schilderte sie in einem persönlichen, bewegenden Vortrag, wie sie in Celle als 17-Jährige von einem Geistlichen sexuell missbraucht wurde. Sie habe sich nach einer Familie gesehnt. «Er nahm sich meinen Körper und ich durfte dazugehören», sagte Janz.
Die Betroffene beschrieb, wie sie von Kirchenvertretern im Stich gelassen wurde. Ein anderer Pastor, der sie psychologisch betreute, besuchte sie nicht nach einem Suizidversuch. Als sie sich der Frau des Kirchenvorstehers anvertraute, riet die ihr nur, sich von dem Täter fernzuhalten. In der Gemeinde sei über sie getuschelt worden. Heute wisse sie, dass es weitere junge Frauen vor und nach ihr gegeben habe, die von dem Mann sexuell missbraucht worden seien.
Wie die Landeskirche Hannovers am Freitag auf dpa-Anfrage mitteilte, war der Beschuldigte zum Zeitpunkt des ersten Übergriffs auf Janz im Dezember 1997 noch nicht Pastor, sondern Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst der Lobetalarbeit in Celle, eine rechtlich selbstständigen diakonischen Einrichtung. Ein erstes Verfahren zur Rücknahme seiner Berufung als Pastor nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2018 sei gescheitert. Nachdem sich eine weitere Betroffene gemeldet und vom Missbrauch als Minderjährige berichtet hatte, wurde 2022 ein zweites solches Verfahren eingeleitet und die Berufung des Mannes als Pastor zurückgenommen. Dagegen habe er Klage vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht erhoben, dieses Verfahren laufe noch.
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