Mehr Demokratie wagen: Nach zwei Tagen Beratung haben sich die Länder auf eine verstärkte Demokratieförderung in Kitas und Schulen verständigt. «Ich finde es wichtig, dass Kinder schon in ihrem Alltag ganz früh lernen, dass sie ihre Themen mitbestimmen können», sagte Claudia Schilling (SPD), Sozialsenatorin in Bremen und Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK), am Freitag in Bremen. So sollen Kinder in den Kitas beispielsweise bei der Auswahl der Spiele und des Mittagessens stärker mitreden dürfen und in den Schulen sollen mehr demokratische Lehrangebote auf dem Stundenplan stehen.
Die Länder forderten den Bund außerdem auf, den Entwurf des Demokratiefördergesetzes zeitnah zu verabschieden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zeigte sich erfreut über den Rückenwind und betonte, dass das Gesetz endlich kommen müsse. Es soll Vereine und Organisationen, die sich für die Stärkung der Demokratie, gesellschaftliche Vielfalt und die Prävention von Extremismus einsetzen, mit einer besseren langfristigen finanziellen Grundlage ausstatten. Das Gesetz war schon im Dezember 2022 vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht worden, zuletzt hatte die FDP Bedenken geäußert.
Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden
Wirksame Teilhabe und Teilnahme müsse für alle Kinder möglich sein, betonte Sascha Aulepp (SPD), Bremens Bildungssenatorin und Co-Vorsitzende der JFMK. Frühkindliche Bildungsangebote sollen helfen, strukturelle Benachteiligung zu überwinden. «Das muss trotz des aktuellen Fachkräftemangels mit Priorität umgesetzt und mit neuen Strategien zur Fachkräftesicherung und -gewinnung verbunden werden.»
Studien zufolge fehlen deutschlandweit etwa 430 000 Kita-Plätze. Bis 2030 könnte der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften in dem Bereich auf 90.000 anwachsen. «Es gibt Menschen, die gerne in Kitas arbeiten würden», meinte Aulepp. Doch dafür müssten Schulabschlüsse aus anderen Ländern anerkennt, der Quereinstieg erleichtert und mehr Fort- und Weiterbildungen angeboten werden. «Das kostet natürlich alles Geld», sagte die JFMK-Vorsitzende mit Blick auf die Sparmaßnahmen des Bundes.
Ohne Geld vom Bund geht es nicht
Im Bundeshaushalt 2025 dürften keine Kürzungen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit vorgenommen werden, heißt es nach der zweitägigen Konferenz in Bremen. Weder die Länder noch die Träger könnten Kürzungen kompensieren. Der Appell ist auch eine klare Ansage an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). In den derzeit laufenden Haushaltsverhandlungen für das kommende Jahr erwartet Lindner teils große Einsparungen von allen Ressorts. Unter anderem mit den Sparvorgaben hatte die Bundesregierung im März das Aus für das eigentlich vorgesehene Kita-Investitionsprogramm begründet.
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP eigentlich versprochen, zum Ausbau von Kita-Plätzen ein weiteres Investitionsprogramm auflegen zu wollen. Wie seit März klar ist: Dieses Programm wird es vorerst nicht geben. Das noch laufende Programm, das 90.000 Betreuungsplätze schaffen soll, endet im Juni dieses Jahres.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus sicherte den Ländern nun ihre Unterstützung zu. Der Bund bekenne sich klar zum Ausbau der Kindertagesbetreuung und zu mehr Qualität in der Bildung, sagte die Grünen-Politikerin in Bremen. «Ich werde mich mit aller Kraft für eine Fortsetzung der Finanzierung einsetzen.» Auch die Bundesförderung zur besseren Qualität in Kitas läuft Ende des Jahres aus. Dabei hatte der Bund die Länder 2023 und 2024 mit rund vier Milliarden Euro unterstützt.
Warnung von Gewerkschaften und Kita-Beschäftigten
In einem offenen Brief an die zuständigen Ministerien fordern derweil mehr als 27.000 Kita-Beschäftige bundesweit Entlastung bei der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern gefordert. In der «kollektiven Gefährdungsanzeige» ist die Rede von einem Teufelskreis aus Überlastung, Erkrankung, Fluktuation und einer immer dünner werdenden Personaldecke in den Kitas. Das mache es nahezu unmöglich, den Auftrag der Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder zu erfüllen. «So eine langanhaltende Notstandssituation gab es noch nie - es wird von Woche zu Woche schlimmer. Wenn nicht bald was passiert, bricht alles zusammen», betonte Martina Meyer, Vorsitzende der Verdi-Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit, am Freitag in Bremen.
Die Beschäftigten fordern mehr Mitarbeitende für Küche, Hausarbeit und Verwaltung, um die pädagogischen Fachkräfte zu entlasten. Auch im pädagogischen Bereich müsse der Personalschlüssel verbessert werden, die Gruppen nicht weiter vergrößert und ein Stufenplan zum Aufbau des Fachpersonals entwickelt werden. Der Bund müsse Kitas dauerhaft finanziell unterstützen und gemeinsam mit den Ländern den Ausbau des Kita-Systems nach den Ansprüchen der Eltern planen. Zuvor hatte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund mit Blick auf die fehlenden Kita-Plätze in Deutschland vor weiteren Sparmaßnahmen im Bereich der frühkindlichen Bildung gewarnt.
Weitere Proteste in deutschen Städten geplant
Ein Bündnis aus mehreren gesellschaftlichen Organisationen ruft in den kommenden Wochen zu bundesweiten Protestaktionen gegen die aktuelle Bildungspolitik auf. Nach dem Auftakt in Bremen anlässlich der JFMK mit rund 200 Demonstranten soll es Proteste in mehreren deutschen Städten geben, darunter Köln, Hamburg und München. Der Abschluss der Kundgebungen ist für den 20. Juni geplant - parallel zur Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz (SPD). Die Organisatoren wollen an diesem Tag die Ergebnisse einer Online-Petition zum akuten Personalmangel in Bildungseinrichtungen an die Bundesregierung übergeben.
Das Bündnis, das aus Gewerkschaften, Bildungsverbänden sowie Eltern- und Schülervertretungen besteht, beklagt Missstände in der deutschen Bildungslandschaft und warnt davor, dass sich die «Bildungskrise» in Deutschland aktuell zuspitze. Im Fokus stehen dabei etwa das Fehlen von Tausenden Erzieherinnen und Lehrkräften, Hunderttausenden Kita-Plätzen sowie die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, die jährlich ohne Abschluss die Schule verlassen. Die Vertreter des Bündnisses fordern deshalb unter anderem die Einberufung eines nationalen Bildungsgipfels bis Ende des Jahres.
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