Mit einem großen Empfang hat die Stadt Leer den 100. Geburtstag ihres Ehrenbürgers, dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg, gefeiert. Rund 130 Gäste, darunter viele Freunde, Begleiter und Vertreter der Stadtgesellschaft, kamen im Festsaal des Historischen Rathauses zusammen, um Weinberg zu gratulieren. Mehrere Redner vor Ort und in zugeschalteten Grußbotschaften würdigten Weinbergs fortdauerndes Engagement, auch noch im hohen Alter die Erinnerungen an die Verbrechen der Nazis wachzuhalten und darüber mit Schülerinnen und Schülern zu sprechen.
Nachdem eine Geburtstagstorte angeschnitten wurde, verfolgte Weinberg die Geburtstagsfeier in seinem Sofa sitzend an einer langen Geburtstagstafel zusammen mit seiner früheren Pflegerin Gerda Dänekas, mit der er inzwischen in einer Senioren-WG zusammen lebt. Weinberg nahm zahlreiche Glückwünsche entgegen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte und dankte Weinberg in einer Grußbotschaft. «Ihre Geschichte ist eine Mahnung für uns nachfolgende Generationen. Ihr unermüdliches Engagement darin, Schülerinnen und Schüler über die Vergangenheit aufzuklären, hat mich bereits zu Beginn meiner Amtszeit beeindruckt», schrieb Steinmeier in einer Mitteilung des Bundespräsidialamtes.
Weinberg überlebte die drei Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora im Harz, Bergen-Belsen bei Celle und mehrere Todesmärsche. Seine jüdische Familie wurde von den Nazis fast vollständig ermordet. 2012 kehrte er zusammen mit seiner Schwester aus den USA zurück in seine ostfriesische Heimat. Seitdem geht er auch in Schulen und berichtet Schülerinnen und Schülern von dem größten Menschheitsverbrechen.
Sorge vor neuem Rechtsextremismus
Der Holocaust-Überlebende tritt unermüdlich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ein. Erst vor wenigen Wochen protestierte er, im Rollstuhl sitzend, mit Hunderten in seiner Heimatstadt bei einer Demo gegen rechts.
Weinberg hatte sich zuletzt besorgt vor einem erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland gezeigt. Nachdem die Union mit Stimmen der AfD einen Bundestagsantrag zur Migrationspolitik durchgebracht hatte, gab er aus Protest sein Bundesverdienstkreuz an Bundespräsident Steinmeier zurück. Zuvor hatten beide miteinander telefoniert.
Bundespräsident bekräftigt Solidarität
Anlässlich des Geburtstags schrieb Steinmeier, es schmerze ihn, dass Weinberg sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben habe. Die Würdigung und die Wertschätzung seiner Verdienste blieben ungeschmälert bestehen.
«Lieber Herr Weinberg, ich möchte Ihnen versichern, dass Sie nicht allein sind mit Ihrer Sorge und Ihrem Kampf gegen den wieder erstarkenden Antisemitismus. Es gibt zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker, die diese Sorgen teilen und sich für eine starke Demokratie, den Schutz von Minderheiten und jüdischem Leben in unserem Land einsetzen», teilte der Bundespräsident weiter mit.
Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sagte in einer Grußbotschaft, er hätte Weinberg gewünscht, dass er sich in diesen Tagen zurücklehnen könne. «Aber wir brauchen dich, Albrecht. Du bist ein Mann der klaren Worte», sagte Prosor. In der heutigen Zeit hätten seine Worte mehr Gewicht denn je. «Du hast wirklich alles dafür getan, dass niemand sagen kann: Ich habe nichts gewusst. Jetzt müssen andere beweisen, dass sie verstanden haben.»
Auschwitz-Überlebende teilen Weinbergs Sorgen
Im Namen der Auschwitz-Überlebenden schickte auch der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, Glückwünsche an Weinberg. Allen Überlebenden des Holocaust gelte jedes Lebensjahr, das ihnen geschenkt werde als ein Jahr der Erinnerung und des Triumphs über den antisemitischen Vernichtungswillen, dem sie und ihre jüdischen Familien während der Nazi-Jahre ausgesetzt waren, schrieb er. Die Überlebenden teilten aber auch seine Sorgen, dass rechtsextreme Positionen bei immer mehr Menschen Akzeptanz fänden, teilte Heubner weiter mit.
Leers Bürgermeister Claus-Peter Horst versprach Weinberg, einen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen - nämlich, dass die Stadt ein Grundstück, auf dem einst die Synagoge stand, erwirbt und herrichtet. «Ich hätte dir so gerne heute gesagt, dass die Stadt das Grundstück gekauft hat, aber leider hat es noch nicht geklappt», sagte der Bürgermeister. «Ich werde aber nicht aufgeben, zu versuchen, dir deinen Wunsch zu erfüllen.»
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