Die VW-Krise und der Ampel-Streit in Berlin haben den Landesparteitag der Grünen in Niedersachsen dominiert. Mit Geschlossenheit bei Themen wie Wohnen, Mobilität, Innerer Sicherheit und erneuerbaren Energien setzten die etwa 200 Delegierten am Wochenende aber auch eigene Akzente dagegen.
Dröge zur Ampel: Als würde man einem Auffahrunfall zuschauen
Die Fraktionschefin im Bundestag, Katharina Dröge, warf in ihrer Rede am Samstag den Berliner Ampel-Partnern mangelnden Teamgeist vor. «Jeder möchte sein Ding irgendwie allein machen, keiner will mit dem anderen zusammen», sagte Dröge mit Blick auf das Vorgehen von SPD und FPD etwa in der Wirtschaftspolitik. «Auch ich sitze dann zu Hause vor dem Fernseher und denke, es ist so, als würde man einem Auffahrunfall zuschauen», sagte Dröge, die nach eigenem Bekunden manchmal neidisch auf die nahezu geräuschlose rot-grüne Regierung in Niedersachsen blickt.
Dennoch mache es für die Grünen im Bund weiterhin sehr viel Sinn, in dieser Bundesregierung zu sein. Zu Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Ampel-Koalition sagte die Fraktionschefin: «Ich finde, wir haben eine Verantwortung. Wenn man von den Wählern den Auftrag bekommt, eine Regierung zu bilden, dann sollte man das auch vier Jahre tun.» Die Grünen werben ihr zufolge dafür, dass die Regierung Bestand hat.
Kandidat für Bundesvorsitz in Gifhorn
Dröge war nicht das einzige prominente Gesicht aus Berlin. Am Sonntag kam auch Felix Banaszak nach Gifhorn. Der Bundestagsabgeordnete vom linken Parteiflügel will wie Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner auf dem Bundesparteitag der Grünen Mitte November für die neue Parteispitze kandidieren. Die bisherigen Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour hatten ihren Rückzug angekündigt.
«Lasst uns als Grüne der Hoffnungsort für alle sein, die an unser Land glauben», sagte Banaszak und wurde dafür mit Standing Ovations gefeiert. Er sei stolz auf das, was die Grünen in den vergangenen 45 Jahren erreicht hätten und «genauso stolz auf das, was wir noch erreichen werden».
Ministerin: VW-Vorstand verschärfte Lage
Klarer inhaltlicher Schwerpunkt des Landesparteitags war die Krise beim Autobauer Volkswagen, die der Konzernvorstand aus Sicht von Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg zuletzt selbst verschärfte. Es sei äußerst unglücklich gewesen, in der Debatte zuerst die Beschäftigungssicherung infrage zu stellen, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag, die neben Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) einen Sitz im VW-Aufsichtsrat hat. Das habe viele Menschen in Unsicherheit und Ängste versetzt. «Das war unnötig», sagte Hamburg in der teils emotionalen Debatte.
Die Ministerin betonte angesichts der vielen Herausforderungen aber auch: «Der Volkswagen-Konzern hat die Zeichen der Zeit an dieser Stelle erkannt.» Das Maßnahmenprogramm des Konzerns bezeichnete sie als «ambitioniert, hoch anspruchsvoll und zukunftsgewandt». Wichtiges Ziel der Investitionen sei auch, endlich wieder Autos im niedrigen Segment um die 20.000 Euro im Portfolio zu haben – und zwar auch E-Autos. Es müsse jetzt schnell eine Lösung geben, die VW wieder zu seiner Stärke verhelfe.
Hamburg: VW muss Krise ohne Werksschließung lösen
Die Landesregierung habe die klare Erwartung, dass das ohne den Abbau relevanter Infrastruktur gehe und ohne Werksschließungen auskomme. Beides müsse durch andere Konzepte überflüssig gemacht werden. Politische Weichenstellungen muss es Hamburg zufolge vor allem auf Bundesebene und in Europa geben. Es sei ein Fehler gewesen, die Förderung der E-Mobilität zu stoppen, auch Verbrenner-Debatten seien überhaupt nicht förderlich. Die Ministerin forderte ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität.
Dem Leitantrag des Landesvorstands zum Thema Wohnen folgten die Delegierten dann am Samstag einstimmig. Damit wollen sich die Grünen unter anderem für einen Baufonds in Höhe von 500 Millionen Euro einsetzen, um zinslose Kredite vergeben zu können. Dadurch könne der Mietpreis für die Mitte der Gesellschaft auf 8,50 Euro pro Quadratmeter festgesetzt werden. «Wohnen ist eine zentrale Frage unserer Zeit und wir als Grüne müssen die Frage lösen, wir sind in der Regierung», sagte die Co-Landesvorsitzende Greta Garlichs.
Grüne kritisieren Debatte nach Solingen als «völlig enthemmt»
Klare Mehrheiten folgten den Anträgen, die die Zukunftsfähigkeit von Volkswagen und Niedersachsens Automobilindustrie sichern sollen. Neben dem Erhalt der Arbeitsplätze geht es der Partei darum, den Umbau zur Elektromobilität konsequent umzusetzen. Im Bereich der Inneren Sicherheit kritisieren die Grünen kaum erträgliche Reaktionen auf den Anschlag von Solingen. Die Debatten nannte das Führungsduo aus Garlichs und ihrem Co-Vorsitzenden Alaa Alhamwi «völlig enthemmt».
«Wir steigen nicht auf diese Asyldebatte ein, die ja ein Irrlicht ist, sondern zeigen, wie wirklich Sicherheit funktionieren kann», sagte Garlichs. Das bedeute etwa, dass die Polizei unter besseren Bedingungen arbeiten müsse. «Keine Digitalisierung, schlechte Arbeitszeiten: Das muss sich ändern, damit unsere Polizei auch gut funktionsfähig ist», forderte sie.
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