Die Zahl der Straftaten in Niedersachsen ist im vergangenen Jahr spürbar gestiegen - gleichzeitig ist die Furcht davor gewachsen, das Opfer einer Straftat zu werden. Klar sei, dass wir «in unruhigen Zeiten leben», sagte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens am Montag. Diese unruhigen Zeiten widerspiegelten sich in der Kriminalitätslage. Dennoch betonte die SPD-Politikerin: «Niedersachsen ist und bleibt ein sicheres Bundesland.» Landesweit wurden im vergangenen Jahr 553.202 Straftaten registriert - das sind rund 5,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Gleichzeitig mit der Kriminalstatistik 2023 wurde die neue Dunkelfeldstudie vorgelegt - die laut Behrens Erkenntnisse zu Taten bietet, die nicht angezeigt wurden. Demnach schätzten 9,4 Prozent der Befragten das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, als «eher hoch» oder «hoch» ein - 2021 waren es 6,0 Prozent. Gleichzeitig aber gingen die meisten Befragten (90,5 Prozent) von einem geringen Risiko aus. Das Landeskriminalamt befragt seit 2013 Menschen in Niedersachsen jeweils im Abstand von zwei Jahren zu ihrer Einschätzung. Für die neue Studie wurden fast 15.900 Menschen befragt.
Die Dunkelfeldstudie zeigt, dass im Referenzjahr 2022 immerhin 24,8 Prozent der Straftaten bei der Polizei angezeigt wurden - 2,8 Prozentpunkte mehr als 2020, als die Quote auf den niedrigsten Stand seit etwa zehn Jahren sank. Am höchsten sei die Anzeigequote bei Autos (90,5 Prozent), am geringsten bei sexuellem Missbrauch in einer Partnerschaft (0,0 Prozent), sagte Landespolizeipräsident Axel Brockmann. An der Stelle zeige sich ein «riesengroßes Dunkelfeld», betonte er. «Es ist erschreckend.» Positiv sei, dass die meisten Befragten Vertrauen zur Polizei hätten.
Die Studie zeigt aber auch die «mit Abstand höchste Opferwerdungsrate», wie Brockmann sagte. Demnach wurden 35 Prozent der Befragten 2022 das Opfer einer Straftat - zwei Jahre zuvor waren es noch 29,6 Prozent. Dies habe teils langwierige Folgen für die Betroffenen. Dennoch sei die Sicherheitslage gut, betonte Behrens. Es habe landesweit noch nie so viele Polizistinnen und Polizisten gegeben - «und die Zahlen zeigen, dass wir die auch brauchen».
Die Aufklärungsquote sei 2023 leicht auf 62,5 Prozent gestiegen, sagte Brockmann. Das sei auch im bundesweiten Vergleich ein hohes Niveau. Vor allem Kinder- und Jugendkriminalität, Messerangriffe, Diebstahl, Wohnungseinbrüche und die Verbreitung von kinder- und jugendpornografischem Bild- und Videomaterial nahmen zu. Behrens sagte, die Phase der Corona-Effekte und damit einhergehender sinkender Straftatzahlen sei «endgültig passé».
Patrick Seegers, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, nannte den erneuten Anstieg der Gewaltkriminalität, vor allem mit Messern, alarmierend. «Es ist unerlässlich, dass die Politik dieses Problem weiterhin ernst nimmt und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Form der Kriminalität ergreift.» Sein Landesverband fordere eine konsequente Strafverfolgung der Täter. Nach Einschätzung des Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Kevin Komolka, zeigen die Zahlen, «dass Kriminalitätsbekämpfung nicht allein darin bestehen kann, dass die Polizei im Nachhinein ermittelt». Die Gesellschaft sei gefordert, um Kinder und Jugendliche nicht auf die schiefe Bahn geraten zu lassen.
Der Statistik zufolge registrierte die Polizei einen extremen Anstieg bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen - 2023 wuchs die Zahl der Fälle um fast 40 Prozent auf 8549. Deutlich zugenommen habe auch Kinder- und Jugendkriminalität, sagte Brockmann. Die Zahl der aufgeklärten Fälle mit jungen Menschen unter 21 als Verdächtige oder Beschuldigte sei 2023 um 9,7 Prozent auf 68.874 gestiegen. Die aufgeklärten Fälle mit Kindern unter 14 Jahren als Tatverdächtige erreichten im Zehnjahresvergleich mit 10.415 einen neuen Höchststand. Behrens sagte, die Herausforderung sei, präventiv tätig zu werden: «Das kann die Polizei nicht allein lösen.»
Als besorgniserregend bezeichnete sie den Anstieg bei Messerangriffen - in der Kategorie gab es 2023 einen Anstieg um 8,7 Prozent auf 3048 Fälle. 87 Prozent der Verdächtigen seien Männer, rund 70 Prozent mindestens 21 Jahre alt. Die Ministerin regte weitere Waffenverbotszonen vor allem in den großen Städten an, sie sei mit mehreren Kommunen im Gespräch. Sie betonte: «Ich halte das für notwendig.»
Die sogenannte häusliche Gewalt klinge zwar nach Verniedlichung, sagte Behrens. Aber es gibt eine bundesweite Definition dafür, demnach umfasst dies nicht nur partnerschaftliche und ex-partnerschaftliche, sondern auch familiäre Gewalt. Im vergangenen Jahr erfasste die Polizei nach dieser Definition insgesamt 29.875 Fälle - 10,7 Prozent mehr als 2022. Meist ging es um Körperverletzungen, deren Anteil betrug 59,4 Prozent. Mordfälle in dem Zusammenhang gab es 11 (2021: 10), außerdem wurden 14 (20) Fälle von versuchtem Mord registriert. Dies sei eine Entwicklung, der «wir uns entschieden entgegenstellen», sagte Behrens. «Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist und bleibt ein Anliegen, dem ich mich besonders verpflichtet fühle.»
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