Ein mutmaßlich korrupter Staatsanwalt aus Hannover soll über Monate quasi ein zweites Gehalt von einer internationalen Kokain-Bande erhalten haben. Nach Überzeugung der Ermittler verriet der Beamte den Drogenbossen Interna aus Ermittlungsverfahren: Entschlüsselte Chats, geplante Observationen, vorbereitete Haftbefehle und den Einsatz eines V-Mannes habe der 39-jährige Jurist über Mittelsmänner preisgegeben, heißt es in der zum Prozessauftakt im Landgericht Hannover verlesenen Anklageschrift.
Der Prozess gegen den Deutsch-Iraner, der alle Vorwürfe zurückweist, beginnt unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Noch im Sommer 2024 war der 39-Jährige hier Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Hannover in einem Drogenprozess, jetzt muss er erstmals auf der Anklagebank Platz nehmen - ein außergewöhnlicher Fall. Mindestens 65.000 Euro soll der Beamte für seine Dienste zwischen Juni 2020 und März 2021 kassiert haben. Legal als Staatsanwalt verdiente er etwa 5.000 Euro im Monat.
Angeklagter Staatsanwalt schüttelt mehrfach den Kopf
Der 39-Jährige im weißen Hemd wirkt nervös, wechselt oft die Haltung, kratzt sich am Bart und schüttelt mehrfach den Kopf, als der Vertreter der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Anklageschrift vorliest. Konkret werden dem Juristen, der seit Ende Oktober 2024 in Untersuchungshaft sitzt, 14 Fälle von besonders schwerer Bestechlichkeit sowie Verletzung des Dienstgeheimnisses und Strafvereitelung im Amt vorgeworfen. Er soll gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande gehandelt haben. Der angeklagte Jurist streitet alle Vorwürfe ab und will sich im Mai ausführlich äußern. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Hinweise auf ein Leck in den Behörden gab es schon früh. Im Februar 2021 waren 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen entdeckt worden - ein Rekordfund mit einem Marktwert von rund 448 Millionen Euro. Die Drogen waren in Dosen mit Spachtelmasse versteckt. Wenig später organisierte das Landskriminalamt (LKA) Niedersachsen eine bundesweite Razzia, jedoch war eine Vielzahl der Beschuldigten verschwunden. Zwei Hauptverdächtige setzten sich in die Türkei beziehungsweise nach Dubai ab.
Am ersten Prozesstag ergreift der 39-Jährige kurz das Wort, nachdem zwei seiner Rechtsanwälte Erklärungen abgegeben haben. Der Jurist gibt sich kämpferisch: Als Erstes kritisiert er die beiden Osnabrücker Staatsanwälte, die bitte nicht nur seinen Nachnamen nennen sollen - wenn schon «Herr» oder «der Angeklagte».
Er sei nur einen Tag vor Prozessbeginn «wie ein Schaf» von der JVA Bremervörde nach Celle transportiert worden, wo es 23 Stunden Einschluss gebe - «psychisch ein Alptraum», beklagt der 39-Jährige. Zudem möchte der Angeklagte mehr Beweismittel selbst studieren. «Ich bitte um vollständige Akten», sagt er an die Adresse der Vorsitzenden Richterin Jana Bader, die er als Kollegin schon lange kennt.
Ihm fehlten Rohdaten von verschlüsselten Chats, daher hätte er gerne eine Nachlieferung - «weil ich dem LKA und der Staatsanwaltschaft nicht traue». Auch fehle unter seinen gesendeten E-Mails ein Zeitraum von einem Jahr, dies sei genau der Tatzeitraum. Er beabsichtige damit keineswegs, das Verfahren durch Anträge zu verschleppen, sagt der angeklagte Staatsanwalt: «Ich bin froh, dass es jetzt losgeht.»
Wer ist der «Cop» in den Chats der Drogenhändler?
Von Mai 2019 bis Mitte Februar 2024 bearbeitete der mutmaßlich korrupte Staatsanwalt in der Drogen-Abteilung nach Angaben des niedersächsischen Justizministeriums 247 Verfahren. Bis zu seiner Verhaftung war er in der Abteilung Kapitaldelikte eingesetzt.
Aus der Sicht der Verteidigung ist die Beweislage dünn. Die Ermittlungen hätten sich früh auf den 39-Jährigen konzentriert, obwohl doch in den entschlüsselten Chats meist von einem «Cop», also wohl eher von einem Polizisten, die Rede sei, sagt Verteidiger Timo Rahn. Die Ermittler sind jedoch überzeugt, dass es sich bei den Bezeichnungen «SA» oder «Cop» um den 39-Jährigen handelt. Dass der verheiratete, «sozial fest integrierte» 39-Jährige wegen Fluchtgefahr in U-Haft sitzt, kritisieren sie.
Wegen Beihilfe zur Bestechung ist ein 41 Jahre alter Boxtrainer mitangeklagt. In vielen Fällen soll er als Mittelsmann der Kokain-Bosse die vereinbarten 5.000 Euro im Monat in bar dem Staatsanwalt überreicht haben. Für besondere Informationen gab es angeblich 5.000 Euro Sonderzahlungen. Überreicht wurden die Bestechungsgelder laut Anklage häufig im Kampfsport-Studio des Mannes, der nicht in Untersuchungshaft sitzt. Hier war auch der Jurist Mitglied. Der Boxtrainer wirkt anders als der angeklagte Staatsanwalt am ersten Prozesstag entspannt und beinahe gut gelaunt.
Verteidiger Rahn betont, dass sein Mandant nie ein Krypto-Handy hatte und auch in keinem entschlüsselten Chat auftauchte. Zu den vorgeworfenen Geldzahlungen äußert sich die Verteidigung zunächst nicht. Laut Anklage soll der Staatsanwalt in einem Fall 3.000 Euro an einem Geldautomaten in der Nähe des Kampfsport-Studios auf sein eigenes Konto eingezahlt haben.
Verdacht gegen Staatsanwalt schon 2023 Thema im Landgericht
Nachdem bei der Razzia im März 2021 so viele Verdächtige nicht angetroffen worden waren, wurde zunächst gegen unbekannt ermittelt. Der gefasste Spediteur der Kokain-Bande gab im Oktober 2022 in einer polizeilichen Vernehmung den Hinweis, dass der Staatsanwalt der gesuchte «Maulwurf» bei den Behörden sein könnte. Dieser Verdacht war auch Thema in dem Prozess gegen den Spediteur Anfang 2023 im Landgericht Hannover.
Im Juni 2022 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den verdächtigen Staatsanwalt eingeleitet, im November 2022 durchsuchten Fahnder seine Wohnung und seine Diensträume. Das Verfahren wurde im Oktober 2023 eingestellt - weil sich der Anfangsverdacht laut Justizministerium zunächst nicht erhärtet hatte. Im Juni 2024 wurde das Verfahren gegen den Staatsanwalt wiederaufgenommen. Dann ging es schnell: Am 29. Oktober 2024 wurde der 39-Jährige festgenommen und sitzt seither im Gefängnis.
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