Osnabrück (dpa)/lni - Das Verwaltungsgericht Osnabrück hält die Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal in der Corona-Pandemie für nicht verfassungsgemäß. Es wird das Klageverfahren einer Pflegehelferin gegen den Landkreis Osnabrück dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen und dem Gericht die Frage stellen, ob das Infektionsschutzgesetz vom 18. März 2022 mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen ist, wie das Gericht nach der mündlichen Verhandlung mitteilte.
Aus Sicht der Osnabrücker Richter verletzte die Pflege-Impfpflicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Berufsfreiheit.
Frage nach Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung
Mit Beschluss vom 27. April 2022 hatte das Bundesverfassungsgericht die Pflege-Impfpflicht bereits für rechtens erklärt. Allerdings sei inzwischen die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung infrage zu stellen, teilte das Verwaltungsgericht Osnabrück mit.
Das Robert Koch-Institut (RKI) hätte das Bundesministerium für Gesundheit auch von sich aus über neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung informieren müssen, argumentierte das Verwaltungsgericht. Dies gehe aus den nunmehr vorliegenden Protokollen des Covid-19-Krisenstabes des RKI hervor. Zu ihrer Entscheidung kamen die Richter nach Analyse der Protokolle sowie nach Vernehmung des RKI-Präsidenten Lars Schaade als Zeuge in der Verhandlung in Osnabrück. Der Behördenleiter war 2022 Leiter des Corona-Krisenstabes.
Die RKI-Protokolle zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen regelmäßigen Sitzungen in der Corona-Zeit jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmaßnahmen.
Die Klägerin hatte im Jahr 2022 als Pflegehelferin in einem Krankenhaus in Quakenbrück gearbeitet. Der Landkreis Osnabrück hatte ihr auf Grundlage des damaligen Infektionsschutzgesetzes am 7. November 2022 verboten, das Krankenhaus zu betreten und weiterhin dort zu arbeiten. Dieses Betretungs- und Tätigkeitsverbot wurde jetzt vom Verwaltungsgericht ausgesetzt, bis eine Entscheidung aus Karlsruhe kommt.
Pflegehelferin legte keinen Impfnachweis vor
Das Verbot war damals bis zum 31. Dezember 2022 befristet. Die Frau hatte keinen Nachweis vorgelegt, dass sie gegen Corona geimpft oder genesen war und auch kein Attest, dass sie nicht geimpft werden konnte.
RKI will alle Protokolle «so schnell wie möglich» veröffentlichen
Die teilweise geschwärzten Protokolle aus der Anfangszeit der Pandemie waren im März 2024 vom Online-Magazin «Multipolar» öffentlich gemacht worden. Nach Spekulationen über eine externe Einflussnahme wurden sie Ende Mai 2024 weitestgehend ungeschwärzt vom RKI veröffentlicht.
Nach Angaben des RKI sollen auch die weiteren Protokolle bis zum Ende der Krisenstabs-Sitzungen im Juli 2023 «so schnell wie möglich» veröffentlicht werden. Eine Gruppe um eine Journalistin, die zu den Kritikern der Corona-Politik der Bundesregierung zählt, hat nach eigenen Angaben bereits alle Protokolle von einer Quelle aus dem Institut erhalten, sie im Juli 2024 im Internet hochgeladen und bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Das RKI erklärte dazu, es habe die Datensätze «weder geprüft noch verifiziert».
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