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Camper aus aller Welt im Harz - «Frieden ist das Ziel»

Die Camper im Harz wollen die Natur achten.  / Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Die Camper im Harz wollen die Natur achten. / Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die Besucher eines illegalen Zeltlagers im Harz wollen das Gebiet Anfang September sauber verlassen. Die Natur zu achten gehört zu den Grundprinzipien der Rainbow-Family.

Nachts essen und tanzen sie an einem Lagerfeuer, tagsüber baden sie in Seen, kochen oder jonglieren: Rund 1.500 Menschen der sogenannten Rainbow-Family bevölkern derzeit den Harz. Vor mehr als einer Woche haben sie ein illegales Zeltlager in einem Waldgebiet aufgeschlagen. Was bewegt diese Menschen und wer sind sie?

«Ich möchte Zeit mit und in der Natur verbringen», sagt Teilnehmer Jo (38) - lange Haare, zotteliger Bart - der auf seinem Fahrrad aus Frankfurt gekommen ist. Gerade hat der studierte Maschinenbauer neben Fischen im klaren Wasser eines Sees gebadet - nackt und vor allem ohne Shampoo, «um das Wasser nicht zu verunreinigen».

«Seit wir hier sind, lebt der Wald wieder. Alles blüht dreimal so stark, wenn Leben vorherrscht» - so fühle sich das Leben im Camp für ihn an. Vielleicht reise er zu einer anderen Rainbow-Veranstaltung weiter, sagt er. Manche Teilnehmer würden das jahrelang machen.

Weltweite Bewegung

«Weltweit gibt es immer irgendwo Rainbow-Gatherings - kleinere nationale oder größere internationale», erklärt Teilnehmer Samuel. Die Termine würden untereinander weitergegeben. Ankündigungen gebe es nicht.

Der Therapeut und Unternehmensberater kehrt gerade in das Zeltlager zurück. Immer wieder kommen neue Camperinnen und Camper, andere gehen. Viele seien nicht die gesamte Zeit dabei. «Ich war gerade zwei Tage arbeiten», sagt er. «Da lief ich dann mit Anzug und Krawatte rum - heute kaum vorstellbar.»

Auf dem zentralen Zeltplatz trifft er gleich alte Bekannte von anderen Rainbow-Treffen, die er mit einer langen Umarmung begrüßt. Die Stimmung auf dem Platz ist friedlich, es herrscht keine Hektik. Die Camp-Besucher tanzen gemeinsam oder liegen in der Sonne. Manche nackt, andere nicht. «Nacktheit ist hier normal, steht aber nicht im Mittelpunkt und hat nichts mit Sexualität zu tun. Hier ist ein sicherer Ort, an dem jeder sein kann, wie er möchte», erklärt Samuel. Geschlafen wird in Zelten oder Hängematten.

Ursprünge in den USA

Entstanden sind die Rainbow-Gatherings in den USA aus der Woodstock- und 68er-Bewegung. Auch die Kultur der amerikanischen Ureinwohner sei Inspiration, erklärt Samuel. Die weltweit erste Veranstaltung fand demnach 1972 in den USA statt. Zu den Grundregeln zähle, dass es keine elektronische Musik gebe und auf Handys möglichst verzichtet werde. Alkohol und Drogen würden zudem keine große Rolle spielen. «Die meisten Menschen hier wollen klar sein und raus aus dem Alltag.»

Jeder bringe sich nach seinen Möglichkeiten ein, sagt Unternehmensberater Samuel. Es gebe Ärzte und Sanitäter. In einer zentralen Feldküche werde gekocht. Einen Dienstplan gebe es nicht. Für die Lebensmittel, die mit Autos geholt werden, würden freiwillige Spenden gesammelt. Ein Teilnehmer überprüfe die Qualität des Wassers mit einem mobilen Testlabor, welches aus einer Quelle in großen Tanks aufgefangen werde.

Polizeieinsätze und Betretungsverbot

Bei einem Einsatz zu Beginn der Woche mit hunderten Polizisten wurden Schläuche des Frischwassersystems konfisziert. Es wurden Autos abgeschleppt und Feuer ausgemacht. Den Landkreisen Goslar und Göttingen, auf deren Gebiet die Camper ein 200 Hektar großes Areal eines Landschaftsschutzgebietes bevölkern, ist die Rainbow-Family ein Dorn im Auge. Sie haben unter anderem Sorge vor Waldbränden und daher ein Betretungsverbot verhängt. Das Zeltlager ist damit illegal. 

Eine Räumung ist aber unter anderem aus Kostengründen nicht geplant, sagte die Göttinger Kreisrätin Marlies Dornieden (CDU) am Dienstag. Die Feuerwehr überfliegt das Gelände regelmäßig mit Drohnen und weist mit Durchsagen auf das Betretungsverbot hin.

«Alternative Lebensweise aufzeigen»

«Für mich ist das wie eine kleine Flucht», sagt Yow aus Israel, der in der zentralen Küche gerade ein Feuer in einem Ofen entzündet. Er habe vier Monate im Krieg gegen Gaza gekämpft. «Wir wollen alle nur Frieden hier - das ist das ultimative Ziel.»

Bei den Veranstaltungen werde ein anderer Weg zu leben aufgezeigt, sagt Carlos aus Italien. 2000 besuchte er das erste Mal ein Rainbow-Gathering. «Wir brauchen nicht so viele Regeln im Alltag, wenn wir einander und die Natur achten.» 

Die rund 1.500 Menschen aus 63 Ländern wollen nach Angaben von Teilnehmern noch bis etwa zum 3. September bleiben. Danach wollen sie alles aufräumen und das Gebiet nahe der Städte Bad Grund und Clausthal-Zellerfeld verlassen.

Lebenseinstellung

Noch kommen aber immer neue Menschen an. So auch Theresa, die nach Sonnenuntergang mit ihrer neunjährigen Tochter zu dem Camp wandert. «Für meine Tochter gibt es keinen Ort, an dem sie sich wohler fühlt», erzählt sie. Ein «Rainbow» zu sein, sei für sie eine Lebenseinstellung.

Auf dem zentralen Platz angekommen wird sie von ihren «Brüdern und Schwestern», wie sich die Teilnehmer nennen, herzlich begrüßt. Neuankömmlingen wird oft ein «Welcome home» (deutsch: Willkommen zu Hause) zugerufen. Hunderte Teilnehmer sitzen in einem großen Kreis um ein Lagerfeuer. Die Polizei duldet an dem Abend das Feuer «solange es nicht größer wird».

Auch ein Wanderer stört sich nicht an den illegalen Campern. «Die machen viel weniger Müll als Tagestouristen aus Hannover oder Braunschweig und räumen auf», sagt Thorsten aus Goslar. «Mich stören die Menschen hier nicht - leben und leben lassen.»

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