Eine neue Online-Plattform soll Schülerinnen und Schülern helfen, psychische Belastungen zu erkennen und zu lindern. Unter jugendlichestaerken-niedersachsen.de werden Hilfsangebote gebündelt. Neben Erklärungen und Ansprechpartnern sind dort auch Arbeitsblätter für Lehrkräfte und Informationen für Eltern zu finden.
Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg verwies bei der Vorstellung auf eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, wonach unter Kindern und Jugendlichen rund jeder Fünfte seine gesundheitliche Lebensqualität als gemindert ansehe. Ähnlich viele berichteten von psychischen Auffälligkeiten und Angstsymptomen, hinzu kämen Mobbing, Gewalt, sexuelle Übergriffe und der Einfluss sozialer Medien. «Das sind natürlich Alarmsignale, die wir sehr ernst nehmen müssen», sagte die Grünen-Politikerin.
Schüler brachten den Stein ins Rollen
Die Plattform geht zurück auf eine Initiative des Landesschülerrats. Das Ziel: eine zentrale Anlaufstelle für psychische Gesundheit, statt sich durch einen Wust von Angeboten klicken zu müssen. Wichtig sei, dass die Plattform jetzt auch an den Schulen ankomme, sagte der Schülerrats-Vorsitzende Matteo Feind.
Ministerin Hamburg will deshalb die Schulleitungen anschreiben und die Plattform bewerben. Sie hofft, dass darüber auch die Fortbildungsangebote für Lehrkräfte zur psychischen Gesundheit noch besser angenommen werden. Hamburg appellierte zudem an die Eltern, ihre Kinder nicht mit den Krisen alleine zu lassen: «Die Welt ist gerade belastend, und trotzdem haben wir alle auch die Pflicht, unsere Kinder dabei zu begleiten und zu unterstützen.»
«Viele junge Menschen kämpfen im Stillen mit Problemen»
Eine professionelle psychologische Hilfe kann und soll die Plattform jedoch nicht ersetzen, wie der Sozialpsychologe Mathias Kauff von der Medical School Hamburg betonte, die die Seite im Auftrag des Kultusministeriums entwickelt hat. Daher enthalte die Plattform auch Hinweise, wann und wie die Jugendlichen Erwachsene einbeziehen sollten.
Aber: Häufig seien es Freunde und Mitschüler, die Veränderungen in ihrer Gruppe wahrnehmen würden. «Viele junge Menschen kämpfen im Stillen mit Problemen», sagte Kauff. Wer sich um einen Freund oder eine Freundin sorge, soll sich daher auf der Webseite über psychische Gesundheit und Störungen informieren können – bis hin zum Thema Suizidgedanken.
«Es ist völlig normal, manchmal Hilfe zu brauchen, und ein Zeichen von Stärke, danach zu fragen», heißt es auf der Seite. Kernzielgruppe sind Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren. Das Land hat dafür 200.000 Euro bereitgestellt.
Psychotherapeuten sehen hohen Medienkonsum kritisch
Wie stark Kinder und Jugendliche gerade unter der Corona-Zeit gelitten haben, erlebt auch die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen. «80 Prozent sind widerstandsfähig durch die Krise gegangen, aber 20 Prozent eben nicht», sagte Vorstandsmitglied Götz Schwope. Durchschnittlich sechs bis acht Stunden Medienkonsum, Vereinsamung, Depressionen und Ängste sowie Essstörungen überwiegend bei Mädchen seien die Folgen.
Die Nachfrage nach Therapieplätzen sei sprunghaft angestiegen. Durch den hohen Medienkonsum fehlten rund 100 Tage im Jahr, in denen zwar Informationen zuhauf gesammelt würden, aber keine Erfahrungen im richtigen Leben. «Die vielen Krisen, eine zunehmende Radikalisierung und Polarisierung, da muss man schon einigermaßen widerstandsfähig sein, um Antworten zu finden.» Zumal viele Eltern ebenso viel Social Media konsumierten.
Niedrigschwellige Präventionsangebote könnten entlasten
«Wir reden auch über Jugendliche mit zwölf Stunden täglicher Medienzeit und 150 Kilo Gewicht, die zwei Jahre nicht zur Schule gegangen sind», berichtete der Psychotherapeut aus der täglichen Praxis. Entlastung könnten niedrigschwellige gruppentherapeutische Präventionsangebote für psychisch belastete Kinder und Jugendliche bieten.
Zudem müssten insbesondere Grundschulen besser mit Sozialarbeitern und Lehrerinnen und Lehrern aus anderen Kulturkreisen ausgestattet werden. «Rettet wenigstens die Grundschule», sagte Schwope. «Was wir da verlieren, wird teuer.»
Bis zur Behandlung dauert es oft fast ein halbes Jahr
Zusammen mit dem Kinderschutzbund Niedersachsen fordert die Psychotherapeutenkammer eine landesweite Strategie, um die psychische Gesundheit junger Menschen zu stärken. Die Wartezeiten seien unzumutbar lang: Im Schnitt liegen sie für eine psychotherapeutische Sprechstunde bei circa drei Wochen, bis zum Behandlungsbeginn dauere es dann nochmal 20 Wochen.
«Unabhängig davon, ob die Zahlen steigen oder nicht: Das Leiden vieler Kinder und Jugendlicher verfestigt sich», sagte Pablo Sennett vom Kinderschutzbund. Zahlreiche Krankheiten hätten ihren Ursprung im Kindes- und Jugendalter – mit massiven Folgen für die Betroffenen. Seine Forderung: ein ausreichendes Angebot an Psychotherapieplätzen.
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