Kerzen brennen vor dem Backsteinhaus im niedersächsischen Scheeßel, Trauernde haben Blumen abgelegt. Auf einem gelben Zettel hat jemand sechs Herzen gemalt, eine letzte Botschaft an die vier Opfer der Schüsse im Landkreis Rotenburg (Wümme). Wenige Tage nach dem tödlichen Angriff auf ein Kind und drei Erwachsene trauen Angehörige und Freunde. Die evangelische Kirche lud für Mittwoch zu Gedenkandachten in die Brockeler Heilig-Kreuz-Kirche und in die Friedhofskapelle Westervesede ein. «Zusammenkommen, gemeinsam den Schmerz aushalten, Gedanken teilen und Kerzen anzünden», heißt es ohne viele Worte aus dem Kirchenkreis Rotenburg.
Ein Bundeswehrsoldat steht unter Verdacht, in den beiden Gemeinden mit einer Waffe auf vier Menschen gezielt zu haben. Die Opfer überlebten den Angriff in der Nacht auf Freitag nicht. Sie stammten alle aus dem Umfeld der Ehefrau des mutmaßlichen Täters, die beiden hatten sich getrennt. Der 32-Jährige soll erst ihren neuen Freund und dessen Mutter in Scheeßel getötet haben. Anschließend soll er im wenige Kilometer entfernten Bothel auf eine Freundin seiner Ex-Partnerin und deren dreijähriges Kind geschossen haben.
Anzeige war Waffenbehörde nicht bekannt
Kurz zuvor hatten die Noch-Ehefrau und ihr neuer Freund – eines der Opfer – Hilfe gesucht und den Verdächtigen wegen Bedrohung angezeigt. Die neue Beziehung habe zu Konflikten geführt, sagte ein Polizeisprecher. Noch am selben Tag fand nach Angaben der Ermittler eine sogenannte Gefährderansprache statt. Polizisten hätten dem 32-Jährigen die Situation erklärt und mögliche Konsequenzen geschildert. «Hierbei ergaben sich keine weiteren Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Eskalation des Konflikts.»
Die Waffenbehörde des Landkreises Rotenburg (Wümme) hatte nach eigenen Angaben nichts von einer Anzeige gegen den Verdächtigen gewusst. «In den Unterlagen finden sich keinerlei Hinweise auf eine mögliche Bedrohung durch den Täter», sagte eine Sprecherin des Kreises am Mittwoch. «Eine Strafanzeige vonseiten der Polizei liegt dem Landkreis nicht vor.» Geht gegen einen Waffenbesitzer bei der Waffenbehörde eine Anzeige ein, wird normalerweise eine Prüfung eingeleitet.
Nach Angaben des Kreises besitzt der deutsche Verdächtige eine Karte, in der drei Waffen eingetragen sind. Die Voraussetzungen dafür habe der Mann nachgewiesen. Die Behörde habe die sogenannte waffenrechtliche Zuverlässigkeit im September 2023 überprüft. Dabei wurden das Bundeszentralregister, das Landesamt für Verfassungsschutz und die Polizei abgefragt. Es habe keine Auffälligkeiten gegeben. Die Aufbewahrung der Waffen sollte im Frühjahr dieses Jahres kontrolliert werden. Die nächste Prüfung wäre 2025 fällig gewesen.
Das halbautomatische Gewehr, mit dem der Tatverdächtige geschossen haben soll, ist in Deutschland nicht generell verboten. Es könne ohne weitere Auflagen erworben werden, falls ein sogenanntes waffenrechtliches Bedürfnis als Jäger oder Sportschütze nachgewiesen sei, sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums der dpa. Die Regeln des Waffenrechts gelten bundesweit.
Polizei sucht nach Zeugen
«Aktuell werden die innerpolizeilichen Abläufe im Vorfeld der Tat einer Betrachtung unterzogen», heißt es dazu von der Polizei. Bis zum Abschluss des Prozesses werde die Polizei keine weiteren Auskünfte dazu geben. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, in einem eigenen Verfahren zu prüfen, ob der Verdächtige das Paar tatsächlich im Vorfeld der Tat bedroht hatte.
Eine Mordkommission soll nun die Hintergründe der Schüsse klären. Die Ermittler bitten auch die Bevölkerung um Hilfe. Menschen, die ein schwarzes Auto vor dem 1. März oder am Tag selbst in der Umgebung der Tatorte gesehen haben, sollen sich melden. Der Verdächtige könnte sich mit dem Auto während der Taten fortbewegt haben. Man wolle ein Bewegungsbild erstellen, sagte der Sprecher der Polizei.
Nach den Schüssen soll sich der Deutsche an der Von-Düring-Kaserne in der Stadt Rotenburg (Wümme) gestellt haben. Rotenburg (Wümme) liegt in der Nähe der mutmaßlichen Tatorte. Der Soldat sei zu der Kaserne gefahren, aus seinem Auto gestiegen und habe sich zu erkennen gegeben. Polizisten nahmen den Mann fest. Nach Angaben der Ermittler ist der Verdächtige nicht Mitglied der Kaserne.
Der Soldat sei mit einem Sturmgewehr und einer Pistole bewaffnet gewesen. Die Waffen stammen nach Angaben der Ermittler aber nicht aus Beständen der Bundeswehr. In der Fahrertür seines Autos steckte ein Molotowcocktail, im Kofferraum lag neben einem Bundeswehr-Rucksack Munition. Was der Mann damit vorhatte, blieb zunächst unklar.
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