«Skandal», rief Torsten Lieberknecht wütend, als er durch die Katakomben des Bremer Weserstadions an den Medienvertretern vorbei Richtung Kabine stürmte. Schon auf der Tribüne hatte sich der Fußballtrainer des SV Darmstadt 98 kaum beruhigen können. Von dort hatte er die Partie wegen einer Gelbsperre verfolgen müssen.
Auslöser für Lieberknechts Rage: In der Nachspielzeit der Bundesliga-Partie beim SV Werder hatte sein Stürmer Tim Skarke den vermeintlichen 2:1-Siegtreffer erzielt, indem er Torwart Michael Zetterer den Ball abnahm, allein auf das Tor zulief und vollendete. Doch war ihm dabei der Ball an die Hand des vor dem Bauch angewinkelten Arms gesprungen. Den Regeln entsprechend wurde das Tor aberkannt.
Statt eines Sieges und eines Zeichens im Abstiegskampf blieb für den Tabellenletzten nur ein 1:1 (1:1) - und viel Enttäuschung. «Das ist die Regel. Den Erfinder dieser Regel würde ich gern mal persönlich kennenlernen», sagte Lieberknecht und fügte - immer noch spürbar angefasst - hinzu: «Aber nicht heute.»
Sein Werder-Kollege Ole Werner stimmte der Einschätzung Lieberknechts zu. «Diese Regel ist nicht gerade geil. Ich glaube, die, die Fußball spielen, können mit Absicht oder Nicht-Absicht deutlich mehr anfangen», meinte er. «Auf der anderen Seite ist es die Regel. Sie ist dann für alle gleich.» Über die Handregel werde wohl «noch bis zum Ende aller Tage diskutiert werden», prophezeite er.
Die Darmstädter hatten an diesem Fußball-Nachmittag sogar doppeltes Video-Pech. Schon in der 78. Minute hatte sich Skarke über sein Tor zur 2:1-Führung zu früh gefreut. Bereits da entschied der Videoschiedsrichter gegen die Hessen und erkannte das Tor wegen Abseits nicht an. «Es war heute wie verhext», sagte Skarke. «Ich jubel' zum ersten Mal und bin danach enttäuscht. Beim zweiten Mal brechen alle Dämme. Und danach sieht man, wie enttäuscht man sein kann.»
Doch bei aller Enttäuschung gaben sich die Darmstädter auch trotzig. «Wir müssen das Positive mitnehmen, dass wir nicht gut gestartet sind in das Spiel und uns wieder zurückgekämpft haben», sagte Julian Justvan, der in der 33. Minute zum 1:1 getroffen hatte. «In der zweiten Halbzeit ist das Spiel offen. Das kann in beide Richtungen ausgehen.»
Die Darmstädter hatten gegen die spielerische Überlegenheit der Bremer vor allem Einsatzwillen entgegenzusetzen gehabt. Die Offensiv-Bemühungen der Hanseaten belohnten die Gäste - unfreiwillig. Nach einer Flanke bugsierte der Darmstädter Christoph Zimmermann (9. Minute) den Ball bei seinem Rettungsversuch ins eigene Tor.
In der 18. Minute kam Marvin Ducksch im Zweikampf mit Darmstadts Torwart Marcel Schuhen zu Fall. Schiedsrichter Florian Badstübner zeigte auf den Elfmeterpunkt. Nach Videobeweis nahm er die Entscheidung zurück und gab Ducksch die Gelbe Karte wegen einer Schwalbe.
«Es war kein Elfmeter», räumte der Nationalspieler ein. Er habe etwas am Fuß gespürt. Schuhen war es aber nicht. Dieser habe die Hände zurückgezogen. «Ich habe dem Schiedsrichter gesagt, er solle sich die Szene noch einmal anschauen», sagte Ducksch.
In der Schlussphase wurde das Spiel vor 41.500 Zuschauern wild. Am Ende hatten die Gastgeber das Glück des Videobeweises. Den Darmstädtern blieb nur die Hoffnung, dass irgendwann auch sie das Glück auf ihrer Seite haben. Nach Meinung ihres Trainers haben sie sich das längst verdient: «Irgendwann muss die Mannschaft eine Belohnung bekommen für das, was sie einstecken muss», sagte Lieberknecht.
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