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Vom Schicksal zur Rettung - Wie die Seenotrettung begann

Nach zwei schweren Schiffsunglücken auf der Nordsee wurden an der ostfriesischen Küste 1861 die ersten zwölf Rettungsstationen zur Seenotrettung eröffnet. / Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Nach zwei schweren Schiffsunglücken auf der Nordsee wurden an der ostfriesischen Küste 1861 die ersten zwölf Rettungsstationen zur Seenotrettung eröffnet. / Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Nach zwei schweren Schiffsunglücken bauten Freiwillige vor mehr als 160 Jahren die Seenotrettung auf. Früh entstand eine Station auf Spiekeroog. Dort erzählt nun ein neues Museum diese Geschichte.

Es waren zwei verheerende Schiffsunglücke, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Küstenbewohnern bewusst machten, was an der Nordseeküste dringend benötigt wurde: eine organisierte Seenotrettung. Ein neues Museum im sanierten, historischen Rettungsschuppen von Spiekeroog erzählt seit Kurzem von den Anfängen der Seenotrettung und der später gegründeten Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Diese Geschichte ist eng mit Spiekeroog verknüpft, sagt Hartwig Henke, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Seenotretter. Denn eines der schweren Schiffsunglücke, die eine Initialzündung für das Rettungswesen auf See waren, ereignete sich vor der Insel.

Am 6. November 1854 geriet die Bark «Johanne» vor Spiekeroog in einen schweren Herbststurm. «Das war eine ganz tragische Geschichte», erinnert Henke. Es war die erste Fahrt des Dreimasters. Mehr als 200 Menschen wollten mithilfe des Segelschiffes von Bremerhaven aus nach Amerika auswandern. «Allerdings machten sie sich im November auf den Weg, der schlechtesten Jahreszeit in der Nordsee», sagt der 81-Jährige. 

Die damals rund 120 Insulaner konnten den Schiffbrüchigen nicht zur Hilfe kommen, ein Boot zur Rettung konnten sie nicht ausbringen. Rund 80 Passagiere ertranken in der tosenden Brandung. Viele der Toten sind auf dem Friedhof der Heimatlosen der Insel, dem «Drinkeldodenkarkhoff» beigesetzt. Ein paar Jahre später, 1860, kam es vor Borkum noch zu einem weiteren Unglück, als die Brigg «Alliance» in der Brandung zerschellte.

Alle zwei Wochen ein Schiffsunglück

Zeitungsberichte über diese Unglücke lösten große Empörung aus, erzählt Henke, der auch an der neuen Ausstellung mitgearbeitet hat. «Das war ein erster Anstoß.» Das Fehlen einer Seenotrettung wurde auch fernab der Küste thematisiert. Kurz darauf wurden die ersten zwölf Rettungsstationen gegründet. 1861 auf Langeoog und Juist, wenig später auch auf Spiekeroog. 

«Das ging zurück auf den Emder Oberzollinspektor Breusing, der damals von Emden aus sah, was hier an der Küste ständig für Schiffsunglücke passierten», sagt Henke. Schon seit dem Mittelalter verlaufen durch die Deutsche Bucht vielbefahrene Schifffahrtsrouten. Sandbänke und Witterung machen die Navigation anspruchsvoll. Schätzungen zufolge, so ist es auch in der Ausstellung dokumentiert, gerieten Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 50 Schiffe pro Jahr in Seenot. «Es galt eine zynische Faustformel: Alle zwei Wochen gab es ein Schiffsunglück», sagt Henke. Da war der Seefunk noch nicht erfunden und auch motorisierte Rettungsboote fehlten. 

Breusing gründete 1861 den Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Ostfriesland - einem Vorgänger der heutigen DGzRS. Er hielt nichts von der vorherrschenden Skepsis, nicht genügend Spenden und Freiwillige für die Einsätze zu finden. Heute gibt es an Nord- und Ostseeküste ein Netz von 55 Stationen, zwischen Borkum und Ueckermünde.

Historischer Rettungsschuppen wieder öffentlich zugänglich

Auf Spiekeroog wurde 1909 ein Rettungsschuppen für ein Rettungsboot gebaut - dort ist nun auch das Museum untergebracht. Der massive Backsteinbau, der heute unter Denkmalschutz ist, steht frei auf einer kleinen Düne umgeben von Salzwiesen. Er ist schon von Weitem sichtbar. Zuletzt diente das Gebäude als Lagerplatz für Material des benachbarten Zeltplatzes. Für die neue Ausstellung wurde der Rettungsschuppen renoviert und umgebaut. 

In der Ausstellung geben Bilder, Zeitungsartikel und Audiostationen einen Einblick in die Geschichte der Seenotretter. Das geöffnete Modell eines Seenotrettungsbootes und Ausstattung der Freiwilligen lassen erahnen, unter welchen Gefahren die Seenotretter ausrücken. Und dann ist da noch das historische Gebäude selbst, das es zu entdecken gibt. Früher, so erzählt Henke, konnten die Seenotretter ihr Rettungsboot über Tore zu beiden Seiten aus dem Schuppen lassen. Pferde brachten das Boot durch die Salzwiesen bis zum Watt. «Das war dann ein gewaltiger Kraftakt, da die bei dem Sturm nur rudern konnten.» 

Für die Nordseeinsel soll das Mitte Juni eröffnete Museum auch ein neues Ausflugsziel im vom Dorf entfernten Inselwesten werden - auch außerhalb der Hauptsaison. «Wir haben immer gesagt, aus diesem Haus müssten wir etwas machen», sagt Ansgar Ohmes, Geschäftsführer der Nordseebad Spiekeroog GmbH, die auch das neue Museum betreibt. «Das ist ein Denkmal, was in den vergangenen Jahrzehnten nicht öffentlich zugänglich war.» Künftig soll es in dem Museum auch Vorträge und Kulturveranstaltungen geben. 

Von Strandräubern zu Seenotrettern

Die Spiekerooger Station wurde 1948 geschlossen. Seitdem sichert der Standort in Neuharlingersiel am Festland das Revier ab. Das letzte Spiekerooger Ruderrettungsboot «Alexander» ist heute im Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven zu sehen. Mehr als 150 Menschen retteten die Spiekerooger im Lauf ihrer Geschichte aus Seenot. 

Mit der Gründung der Seenotrettung sei auch ein Umdenken bei den Schiffsunglücken eingetreten, sagt Hartwig Henke. Bis dahin sei Seenot als ein unabwendbares Schicksal angesehen worden. Gegen Schiffsunglücke schienen Küstenbewohner machtlos - zumal die damals ärmliche Küstenbevölkerung auch vom Strandrecht profitierte und Strandgut zum Teil behalten durfte. Mit der Seenotrettung rückte der Wille zur Hilfe in den Vordergrund. Diesem Dienst am Menschen seien die Seenotretter bis heute verpflichtet, sagt Henke. 

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