Der im Fall Maddie Verdächtige Christian B. ist nach Einschätzung eines psychiatrischen Gutachters in «die absolute Topliga der Gefährlichkeit» einzuordnen. Die Anwendung verschiedener Verfahren führe zu dem Ergebnis, dass der 47-jährige Deutsche in dem obersten Bereich der Gefährlichkeit lande, sagte der Arzt im Landgericht Braunschweig. Der Psychiater betonte in seinem Vortrag, dass er nur eine Verdachtsdiagnose stellen könne, weil der Angeklagte nicht bereit gewesen sei, sich mit ihm treffen und mit ihm zu sprechen.
Dem mehrmals vorbestraften Sexualstraftäter werden drei Vergewaltigungen sowie zwei Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern vorgeworfen, die er zwischen 2000 und 2017 in Portugal begangen haben soll. Große Aufmerksamkeit erweckt der Prozess vor allem, weil der Angeklagte im Fall der 2007 aus einer portugiesischen Ferienanlage verschwundenen dreijährigen Madeleine «Maddie» McCann unter Mordverdacht steht. Der Fall Maddie ist aber nicht Gegenstand des aktuellen Verfahrens. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Keine günstige Prognose
Derzeit verbüßt B. eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Amerikanerin in Portugal, zu der er 2019 vom Landgericht Braunschweig verurteilt worden war. Diese könnte er aber im kommenden Jahr abgesessen haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass B. dann in Freiheit in den nächsten zwei Jahren wieder inhaftiert werde, liege bei 30 bis 50 Prozent, sagte der Gutachter. Nach etablierten Analyseverfahren hätten nahezu 100 Prozent vergleichbarer Sexualstraftäter günstigere Prognosen als der Angeklagte.
Für den Fall, dass das Gericht den Angeklagten verurteilt, empfiehlt der Gutachter nach der Haft die Unterbringung in Sicherungsverwahrung, weil nahezu alle Kriterien dafür erfüllt seien. Der Arzt verwies unter anderem auf die Verurteilungen von Christian B, der schon im Jugendalter nachweislich Kinder missbraucht habe. Wie der Psychiater sagte, beschäftigte sich der Angeklagte in seinem Leben mehr mit illegalen als mit legalen Dingen. Aus Texten, die ihm zugeordnet werden, wollte der Mediziner vor Gericht nicht einmal zitieren. Denn das, was er darin gelesen habe, gehöre für ihn zu den größten Abartigkeiten, die er kenne.
Prozess auf der Zielgeraden
Ohne eigenes Gespräch mit dem Angeklagten konnte sich der Gutachter nur auf die Hauptverhandlung im Braunschweiger Gerichtssaal und die Gefangenenpersonalakte stützen. Aus dieser gehe ein arrogantes, zynisches, unhöfliches Verhalten hervor, das auch zu vier Disziplinarverfahren geführt habe. Christian B. halte sich nach den Akteneinträgen für unschuldig und gehe von einer Entschädigung aus. Er soll etwa gedroht haben, «diesen Knast fertig zu machen». Bedienstete der Einrichtung soll er als Folterer bezeichnet haben.
Mit dem Bericht des Gutachters biegt das Verfahren auf die Zielgerade ein. Am kommenden Mittwoch steht noch ein Termin etwa für Entscheidungen über Anträge an. «Aus Sicht der Kammer haben wir aber alle Zeugen gehabt», sagte die Richterin. Wenn Überraschungen ausbleiben, steht die Beweisaufnahme vor dem Abschluss. Plädoyers wären in der zweiten Oktoberwoche möglich.
Die Verteidiger des 47-Jährigen haben während des Prozesses mehrmals betont, dass der Angeklagte aus ihrer Sicht von allen Vorwürfen freizusprechen sein wird.
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