Wegen hoher Arbeitsbelastung und zunehmender Gewalt erwägt jeder vierte Klinikarzt in Niedersachsen einen Berufswechsel. Das geht aus einer Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund unter rund 1.300 angestellten Medizinerinnen und Medizinern hervor. Vor drei Jahren war es demnach etwa jeder Fünfte.
Die Hauptgründe seien die hohe Arbeitsbelastung (76 Prozent), eine Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch an den Beruf und der Realität (69 Prozent) sowie zu wenig Zeit für Patientinnen und Patienten (49 Prozent). Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Befragten liege bei 47,6 Stunden – der Wunsch der Befragten hingegen bei 37,2 Stunden.
«Das Klima ist definitiv rauer und aggressiver geworden»
Der Vorsitzende des Marburger Bundes in Niedersachsen, Hans Martin Wollenberg, warnte: «Trotz immenser Belastungen werden weiter ärztliche Stellen abgebaut, und es fehlt weitestgehend an Entlastung für das vorhandene Personal.» Das Gesundheitssystem braucht eine tiefgreifende Reform, forderte Wollenberg.
Besorgniserregend: Knapp 90 Prozent der Befragten gaben an, verbale Gewalt am Arbeitsplatz erlebt zu haben, mehr als 50 Prozent sogar körperliche Gewalt – insbesondere in Notaufnahmen und im stationären Bereich. «Das Klima ist definitiv rauer und aggressiver geworden», sagte Andreas Hammerschmidt vom Marburger Bund, der als Oberarzt in einer Notaufnahme arbeitet. Schutzkonzepte, Gefährdungsanalysen und Schulungen seien nötig. «Hier ist nicht nur jede Einrichtung, sondern auch die Politik gefordert!»
Gesundheitsminister will zu Anti-Gewalt-Gipfel einladen
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) sagte, Gewalt gegen jedwedes medizinisches Personal sei absolut inakzeptabel. Gesundheitseinrichtungen dürften keine Angsträume für die Beschäftigten sein. «Ich werde mit dem Marburger Bund Kontakt aufnehmen, um Vor-Ort-Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen mit Gewalterfahrungen zu führen», kündigte Philippi an. Darüber hinaus werde er zu einem Anti-Gewalt-Gipfel einladen.
«Ich möchte mit der organisierten Ärzteschaft aus Krankenhäusern und Praxen die Sachlage erörtern und Lösungen erarbeiten.» Der Minister nehme die Lage ernst, Ärztinnen und Ärzte würden nicht allein gelassen. Klar sei aber auch, dass für mögliche Sicherheitsvorkehrungen in konkreten Fällen der jeweilige Arbeitgeber agieren müsste, sagte Philippi.
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